Text zur Werkserie Köpfe und Körper

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In ihrem Diplomarbeitszyklus "Schablonen in Kulissen" (2002, Universität für angewandte Kunst, Wien) beschäftigt sich die 1975 in Mödling bei Wien geborene Künstlerin Ruth Brauner noch mit "künstlichen Welten" - den Scheinwelten von Fernsehen, Film, Modemagazinen und Werbespots. In ihrem aktuellen Ausstellungsprojekt "Köpfe und Körper" (2004-05) richtet sie hingegen den Blick stark auf bzw. in sich selbst: Malerei ist für mich Gefühl, Seele und Selbstfindung.

Der Moment eines Zufalls lässt die Künstlerin 2004 - nach einer kurzen Babypause ("Milk fit" steht auf ihrem Malkittel) - mit dieser neuen Serie beginnen: Ich richte mein Atelier ein, ein Spiegel der herumsteht fällt um, er zerbricht. Der Kopfteil ist herausgebrochen - ich halte ihn in der Hand - im Spiegel ist nur mehr mein Körper sichtbar. Der im Atelierspiegel herausgebrochene Kopf steht auch stellvertretend für die Empfindungen von Ruth Brauner zu Beginn dieser Serie: Nach neun Monaten Stillzeit bin ich teilweise nur noch Körper, selbst der ist kaum noch wahrnehmbar, skizzenhaft, umrissen, mein Geist verschwunden - Kopf und Körper getrennt. Um "ihren Kopf wieder zu finden" beginnt die Künstlerin Selbstporträts/ Köpfe zu malen - sie bevorzugt das Format 28 x 28 cm bzw. 28 x 60, Acryl auf Molino, klassische Tafelbilder. Anfangs noch sehr verklärt und skizzenhaft werden die Köpfe zunehmend expressiver, um dann schlussendlich teilweise mit einem Linienraster oder durch das Aufsetzen einer Brille (ein Attribut, das Ruth Brauner häufig in ihren Arbeiten verwendet) wieder verklärt zu werden.

Einige der Köpfe erhalten ortsgebundene Körper - eher "Körperhüllen", direkt und konturenbetont mittels grünem, braunem oder ockerfarbenem Acryl und mit breitem Pinselduktus auf die Wand im Atelier oder am jeweiligen Ausstellungsort gemalt. Der Moment wird zur vagen Erinnerung, die fix mit einem Ort verbunden ist. Wie meine Körper, die für die Zeit der Ausstellung skizzenhaft an die Wand gemalt sind und somit beides beinhalten, das fest mit dem Ort Verbundene und das Vergängliche. Die Körperkonturen der Figuren sind mittels weißer Farbe abgetönt bzw. ausgefüllt und dadurch noch stärker mit dem weißen Wandputz und dem Ausstellungsort verankert.

Ruth Brauners lebensgroße Köpfe und Körper ergeben ganz besonders charakterisierte Figuren: diese treten in Gruppen, meist zu zweit oder zu dritt auf, wie kurze Filmsequenzen sind sie an den Wänden verewigt. Die Figuren tragen weite, legere, malkittelartige Kleidung; sie sind androgyn, wie die "Boys & Girls" unserer Zeitgeistgesellschaft posieren sie lässig mit den Händen in den Hosentaschen. Sie wirken erstarrt, zustandsgebunden, monoton, unfähig sich der Dynamik der Welt anzupassen. Diese Menschen unterscheiden sich lediglich durch die ihnen zugeordneten Köpfe: hier sind Individualitäten und Expressionen, wie ein zum Schrei geöffneter Mund, ein Abstützen des Kopfes auf der Schulter, ein krampfhaftes Lächeln, ein direkter Blick zum Betrachter, erlaubt. Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die Köpfe malerisch sehr ähnlich ausgeführt; die Blicke zum Betrachter unterscheiden sich hingegen: einmal geht der Blick leicht nach rechts bzw. links, hin zum Beobachter bzw. blickt die Figur dem Betrachter oder den anderen Figuren hinterher, ein anderes Mal wird der Betrachter direkt konfrontiert.
Der Betrachter wird den speziellen Blick, der von den Porträts der Künstlerin ausgeht, möglicherweise befremdend empfinden. Dieser psychologisierende, analytische und direkte Blick ergibt sich durch eine starke Selbstanalyse der Künstlerin. Mittels eines Spiegels hat sie sich porträtiert; so entsteht der Effekt einer direkten Beobachtung des Betrachters, aber auch ein starkes hinter sich selbst Blicken der Künstlerin - ein Blick beobachtet andere Menschen, gleichzeitig betrachtet er sich selbst.

Bei Ruth Brauners "Köpfe und Körper" handelt es sich um Momentbilder, zur Geste erstarrte Menschen; sie reflektieren verschiedene Stimmungen einer Person, wie Müdigkeit, Verletzlichkeit aber auch Glück, Konzentration. Diese Arbeiten machen den Betrachter auch auf alltägliche Prozesse aufmerksam, die uns durch die Schnelllebigkeit der Zeit und durch die multiplen Anforderungen von Alltag und Beruf nicht immer oder nicht mehr bewusst sind: getrennt Wahrnehmbares bzw. Dualitäten
wie beispielsweise Bestehendes und Vergängliches, hier und doch weit weg sein, Permanentes und Temporäres, Virtuelles und Reales, Freiheit und Zwang, Körper und Geist. Dazu die Künstlerin: Im Internet, beim e-mailen, beim Spazieren gehen oder beim Einkaufen, am Arbeitsplatz oder bei einer Freizeitbeschäftigung, der Kopf ist nahezu nie am selben Ort, an dem der Körper sich gerade befindet.

Christine Humpl, 2005